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HM wirkt! Karwendel – Schneelast berechnen

Ein begehbares Fernrohr auf 2.244 Metern Höhe: Das Naturinformationszentrum am westlichen Karwendel ragt weit über die Felswand hinaus. Was den BesucherInnen im Inneren des Zentrums eine monumentale Panoramasicht über Mittenwald und das ganze Tal beschert, ist ein raffiniertes Bauwerk mit ausgeklügelter Statik. Und es ist ein Anschauungsobjekt, was die Berechnung von Schneelasten betrifft. In schneereichen Regionen wie hier in den Alpen ist es wichtig, den Schnee, der auf die Dächer fällt und dort eventuell lange liegen bleibt, zur Seite hin abrutscht oder verweht wird, bei der Konstruktion von Gebäuden mit seinen Einwirkungen zu beachten.

Zu dem von Steinert Architekten aus Garmisch-Partenkirchen entworfenen Fernrohr machte der Mittenwalder Bauingenieur Wolfgang Schwind die Konstruktion und Statik. Der HM-Absolvent hatte immer schon eine Passion für Schnee. Der begeisterte Skifahrer und Schneetourengeher kennt das Karwendelgebirge wie seine Westentasche. Zur wissenschaftlichen Beschäftigung mit Schnee kam er, als Ende der 1970er-Jahre die Schneelastnorm erstmals rapide, aber nicht unberechtigt, geändert wurde. Der Wert, mit dem StatikerInnen in Alpengebieten wie Mittenwald die Belastung von Dächern durch Schnee berechnen, wurden plötzlich um 80 Prozent angehoben. Das wunderte den Tragwerksplaner Schwind.

Wenn sich Baunormen absolut von der Realität verabschiedet haben, ist es unsere Pflicht als Bauingenieure mit unserer Expertise dem entgegenzutreten.

– Wolfgang Schwind, Bauingenieur und HM-Absolvent

Der Normenkritiker

Die nächste, im Jahr 2005 erlassene Schneelast-Norm erhöhte den Rechenwert für die BauingenieurInnen ein weiteres Mal, jetzt aber teilweise um bis zu 200 Prozent. Außerdem gab es darin erstmals Vorgaben zur Berechnung der Schneelast für die Dachtraufe. Das sind die Bereiche von Dächern, an denen sich der Schnee beim Abrutschen sammelt. Entsprechend der neuen Norm hätten ehemals 20 Zentimeter hohe Dachbalken jetzt 34 Zentimeter messen müssen. Damit hätten BauherrInnen für einen Dachstuhl eineinhalb Mal mehr Holz gebraucht. „Da war uns klar: Hier muss gehandelt werden!“, sagt der Bauingenieur. Da seine branchenpolitischen und politischen Einwände zunächst verhallten, arbeitete sich Schwind selbst in die Materie ein: Wie viele Wetterdaten hatte man für die neue Norm ausgewertet? Wie hatte man die Schneelast-Formel genau berechnet?

Der Schneeüberhang an der Dachkante in Mittenwald kann einfach nicht dreimal höher sein als der in Österreich.

– Wolfgang Schwind, Bauingenieur und HM-Absolvent

Forschen, fundieren, koalieren

Schwind bohrte tief: Die Schneelasten wurden für die neue Norm auf Basis sogenannter Wasseräquivalente, das ist geschmolzener Schnee, von ungefähr 300 Wetterstationen ermittelt. Aber die wertvollen Werte zu Schneehöhen der über 1.800 Messstationen wurden außer Acht gelassen. Für den Bauingenieur, der die Schneelast direkt aus der Schneehöhe berechnet, eine statistisch zu mickrige Datenbasis. Außerdem fand Schwind heraus, dass die Schneelast für die Dachtraufe nach der neuen Norm wirklich zu hoch und damit die Auslegung der Dachbalken zu mächtig angesetzt worden war. Darüber hatte der HM-Absolvent zwei Gutachten für die Bayerische Ingenieurekammer-Bau erstellt. Inzwischen war er Mitglied des DIN-Normenausschusses „Einwirkung auf Bauten“ und hatte MitstreiterInnen aus der Branche gefunden. „In unseren Gutachten hatten wir festgestellt, dass die charakteristischen Schneelasten aus der DIN-Norm so nicht stimmten“, sagt Schwind.

Mister Schnee

Der rebellische Bauingenieur ging seinen Weg nun als Normenschreiber weiter: Im Rahmen eines ministeriell unterstützten Forschungsauftrags schrieb er den Vorschlag für die deutsche und europäische Schneelast-Norm, deren Ergebnis 2019 größtenteils umgesetzt wurde. Der oft als „Mister Schnee“ betitelte Tragwerksplaner konstruierte das Karwendel-Fernrohr wie ein Musterobjekt für „seine“ neue Schneenorm: Sie ist möglichst schlank berechnet und sparte deshalb beim Baumaterial und Ressourcen.

Für seine über zwölf Jahre währende Forschung erhielt Schwind 2018 aus den Händen der stellvertretenden Ministerpräsidentin Ilse Aigner den ZDI-Preis des Zentralverbands Deutscher Ingenieure für besondere Ingenieurleistungen sowie die Würde eines Ingenieur-Senators (Senator e.h.).

Christiane Taddigs-Hirsch

Schon gewusst? Schnee durchläuft bereits beim Fallen eine Metamorphose, die sich beim Liegenbleiben fortführt: Aus sechseckigen Schneekristallen werden durch das Abbrechen der Kristallspitzen und ihr Zusammenrücken durch die Schneelast darüber sowie Temperatureinflüsse immer mehr runde Kristalle, die weniger Luft einschließen und deshalb den Schnee fester werden lassen.

Quellen:

Schwind, Wolfgang 2014: Ein Regelwerk, das deutschen Gegebenheiten entspricht? In: Deutsches Ingenieurblatt, 2014 (3), 18-25.
Link, Harald (2014): Engagement, das Wirkung zeigt. In: Deutsches Ingenieurblatt, 2014 (3), 26-28.